1000 Worte
Natur + Wissenschaft

Warum wir Farben wahrnehmen

Bleibt die Frage zu klären, warum wir Farben wahrnehmen bzw. welchen evolutionären Sinn das Farbensehen besitzt. Wissenschaftlich ist dies noch immer sehr umstritten. Ein häufig vertretener Erklärungsansatz geht davon aus, daß Farbe eine Empfindung ist, die es uns ermöglicht, zwischen zwei strukturlosen Flächen gleicher Helligkeit zu unterscheiden. Solche Flächen bezeichnet man als isoluminant. Dazu ist kritisch anzumerken, daß uns a) Flächen mit solchen rein spektralen Unterschieden in freier Wildbahn nur sehr selten begegnen und b) ihre Unterscheidung eine wirklich schwierige Aufgabe für das visuelle System darstellt (Shapley 1990). Daher gehen die meisten Forscher inzwischen nicht mehr davon aus, daß dieser Ansatz zum Kern der Sache vorstößt.

Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer anderen Eigenschaft der Gegenstände um uns herum gegeben. In Abb. 1 unterscheiden sich die einzelnen Blüten voneinander bzw. von dem umgebenden Gras nur durch die Helligkeitswerte. Diese liegen zum Teil eng beieinander und deshalb ist es auf einen schnellen Blick schwer, die einzelnen Objekte voneinander zu unterscheiden. In Abb. 2, die zusätzlich zu den Helligkeitswerten auch die Farbinformationen enthält, ist das anders. Hier gelingt die zuvor mühsame Differenzierung spielend leicht. Da unsere Überlebensfähigkeit die längste Zeit unserer Entwicklung über davon abhing, ob wir Freund oder Feind, gute oder schlechte Nahrung schnell auseinanderhalten konnten, dürfen wir daraus folgern, daß unsere Fähigkeit, einzelne Wellenlängenbereiche zu differenzieren (auf der unser Farbensehen basiert), vordringlich der schnellen und effizienten Objekterkennung und Segmentierung einer visuellen Szene dient (Gegenfurtner, Rieger 2000). Diese Präferenz finden wir zudem in den Eigenschaften der Wo- und Was-Kanäle wieder: Der Was-Kanal ist unterteilt in ein Formsystem, das Helligkeits- und Farbinformationen nutzt, um die Formen der Objekte zu erkennen, und ein Farbsystem, welches die Oberflächenfarben beschreibt. Der Formkanal weist die höchste Auflösung aller Subsysteme auf, der Farbkanal die geringste und da Farbe nur der Objektklassifizierung dient, ergibt das perfekten Sinn.

Bunte Blaetter und Blueten SW

Abb. 1 Bunte Blätter und Blüten SW

Bunte Blaetter und Blueten Farbe

Abb. 2 Bunte Blätter und Blüten in Farbe

Mit nur einem Zapfenrezeptortyp können wir visuelle Eindrücke nur auf der Basis ihrer Helligkeit einordnen. Mit zwei unterschiedlichen Rezeptortypen sind wir dagegen in der Lage, visuelle Eindrücke auf der Basis ihrer Helligkeit und spektralen Zusammensetzung zu unterscheiden. Im Vergleich zum normalen Spektrum würde allerdings jeweils ein bestimmter Bereich fehlen. Ohne die L-Zapfen oder M-Zapfen fehlt der langwellige rote und der mittelwellige grüngelbe Bereich. Ohne die K-Zapfen müssten wir auf den kurzwelligen violettblauen Teil verzichten. Nur mit zwei so ideal aufeinander abgestimmten Rezeptoren, wie sie Abb. 28 zeigt, könnten wir jenes Spektrum wahrnehmen, das uns heute unsere drei K-, M- und L-Zapfen erschließen. Denn in diesem Fall wäre jede Wellenlängenmischung durch ein eindeutiges Aktivitäts-Verhältnis der beiden Rezeptoren kodiert. – Die Diagonale beweist diese tatsächliche Unzweideutigkeit für jeden Punkt innerhalb des sichtbaren Spektrums.

Absorptionskurven zweier idealer Photorezeptoren

Abb. 3 Absorptionskurven zweier idealer Photorezeptoren

Dass wir heute drei Zapfentypen brauchen, um den Bereich zwischen 380 nm und 700 nm abzudecken zeigt, daß die Evolution zwar gut, aber nicht perfekt arbeitet. Die ersten Säugetiere waren recht klein und lebten vor Urzeiten unauffällig zwischen den riesigen Dinosauriern. Als Warmblüter hatten sie den wechselwarmen Echsen gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Sie konnten auch in der Dämmerung und nachts aktiv sein, da sie nicht auf die wärmende Sonne angewiesen waren. Sie besiedelten diese ökologische Nische und gingen erst vor etwa 65 Millionen Jahren zu einer tagaktiven Lebensweise über. Doch während ihres Lebens im Dämmerlicht verkümmerte ihr Farbsehvermögen, da sie es schlichtweg nicht benötigten. Daher besitzen die meisten heute auf der Erde lebenden Säuger nur zwei unterschiedlich empfindliche Zapfentypen: einen K-Zapfen und einen M-Zapfen. Aufgrund dessen bezeichnet man sie als Dichromaten. Unter den Säugern haben sich nur die Primaten der alten Welt (Eurasien und Afrika), aus denen der moderne Mensch hervor gegangen ist, und ein Teil der südamerikanischen Neuweltaffen im Laufe der Evolution zu Trichromaten entwickelt. Bei den Altweltaffen duplizierte sich das Gen der M-Zapfen und veränderte sich ein wenig, so daß das Erbgut neben den Informationen für das Blau-Pigment auch die für einen rot- und einen grünempfindlichen Sehfarbstoff enthielt. So entstanden die drei Zapfentypen mit ihren unterschiedlichen Absorptionsmaxima. Unabhängig davon hat sich ein trichromatisches System auch bei manchen Neuweltaffen entwickelt. Ein Farbensehen, das mit dem der Altweltaffen vergleichbar ist, besitzt jedoch lediglich der Brüllaffe. Bei anderen Neuweltaffen sind hingegen allein die Weibchen Trichromaten, da ein Rot-Grün-Gen in verschiedenen Ausprägungen auf dem X-Chromosom liegt. Da aber nur weibliche Tiere zwei X-Chromosomen besitzen, können auch nur sie die Informationen für zwei unterschiedliche Sehpigmente besitzen und dadurch Rot und Grün voneinander unterscheiden. Die Männchen sind dagegen immer rot-grün-blind. Der Grund für diese Entwicklung mag folgender gewesen sein: Affen, die in der Lage sind Rot und Grün voneinander zu unterscheiden, können reife, rote Früchte leichter im grünen Blattwerk finden und sicherer junge, leicht verdauliche Blätter, von älteren, zäheren, unterscheiden, da diese nährstoffreichen Blätter eine leichte Rotfärbung aufweisen. Dies sind gewichtige Vorteile und so konnte sich die Tetrachromasie wohl schnell durchsetzen. Die meisten Reptilien und Vögel machten im Gegensatz zu den Säugetieren keine nachtaktive Phase durch. So konnten sie ihre Farbfähigkeiten kontinuierlich ausbauen und sich in den vergangenen Jahrmillionen zu wahren Farbsehexperten entwickeln. Unter ihnen sind heute zahlreiche Tetrachromaten anzutreffen, die dank vier unterschiedlicher Rezeptortypen ein deutlich feineres Farbunterscheidungsvermögen besitzen als der Mensch.

Zusammenfassend können wir festhalten, daß Farbe zutreffend als eine Empfindung definiert wird, die es uns erlaubt, Objekte leicht voneinander zu unterscheiden, die auf Grund ihrer Helligkeitsverteilung nur schwer unterscheidbar sind. Farbwahrnehmung ist also kein Selbstzweck und hat sich nicht entwickelt, damit die Welt für uns schöner wird. Dennoch wissen wir nicht und werden vielleicht nie erfahren, warum wir einen visuellen Reiz von 530 nm Wellenlänge als grün und einen von 670 nm als rot wahrnehmen.

Literatur

Shapley, R.: Visual sensitivity and parallel retinocortical channels. Annual Review of Psychology Nr. 41 (1990)

Gegenfurtner, K.R., Rieger, J.: Sensory and cognitive contributions of color to the recognition of natural scenes. Current Biology Nr. 10 (2000)

Lesen sie mehr zur visuellen Wahrnehmung und ihrer Beziehung zur Photographie in „Visuelle Wahrnehmung“ und PhotoWissen“